Ein Überblick zu den Regelungen der Vergangenheit, der Gegenwart und ein Ausblick in die Zukunft aus Sicht der Restrukturierungspraxis.
Die Corona-Pandemie stellt die gesamte Wirtschaft sowohl in Deutschland als auch global vor eine Zerreißprobe. Umsatzeinbrüche, Störung der Lieferketten, staatlich angeordnete Betriebsschließungen und Öffnungsbeschränkungen bei gleichzeitig oft unveränderter Kostenstruktur belasten viele Unternehmen aufs Äußerste.
Staatliche Hilfen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen wurden/werden nur schleppend ausgezahlt und reichen oft nicht aus, um dem gesamten Ausmaß Herr zu werden. Unausweichliche Folge der stetig sinkenden Liquidität für viele Unternehmen und deren Geschäftsleiter sind Zahlungsschwierigkeiten bis hin zu (drohender) Zahlungsunfähigkeit.
Unter anderem, um Geschäftsleiter vor strafbewehrter Insolvenzverschleppung zu bewahren, hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit (partiell) die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages ausgesetzt.
Ein Überblick:
01. März 2020 – 30. September 2020
Insolvenzantragspflicht sowohl bei Zahlungsunfähigkeit als auch bei Überschuldung ausgesetzt, wenn
- Insolvenzreife pandemiebedingt und
- Aussicht auf Besserung der finanziellen Situation bestand
01. Oktober 2020 – 31. Dezember 2020
Insolvenzantragspflicht nur noch bei Zahlungsunfähigkeit ausgesetzt.
01. Januar 2021 – 30. April 2021
Insolvenzantragspflicht sowohl bei Zahlungsunfähigkeit als auch bei Überschuldung ausgesetzt, wenn
- Insolvenzreife pandemiebedingt und
- Aussicht auf Besserung der finanziellen Situation bestand/besteht
UND:
- ein Antrag auf die Gewährung finanzieller Hilfen gestellt wurde oder noch nicht gestellt werden konnte, aber die Voraussetzungen für eine Beantragung vorliegen,
- die Erlangung der finanziellen Hilfe nicht aussichtslos ist und
- die Hilfeleistung zur Beseitigung der Insolvenzreife ausreicht!
Gerade aufgrund letzterer Prämisse wären schon aktuell wieder viele Geschäftsleiter eigentlich dazu verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen. Bei Verletzung dieser Pflicht drohen Haftungsverpflichtungen gegenüber einem späteren Insolvenzverwalter und im schlimmsten Falle sogar Strafverfolgung.
Die mediale, teilweise von der Bundesregierung befeuerte Berichterstattung, dass die Insolvenzantragspflicht weiter ausgesetzt werde, hat die Nachlässigkeit der Geschäftsleiter in einer für diese generell schon äußerst belastenden Situation noch gefördert. Aus Sicht der Insolvenzrechtspraxis ist dies äußerst bedenklich. Aufgrund verspäteter Antragsstellung wird es zukünftig in vielen Fällen nur noch schwer möglich sein, mit passgenauen Sanierungsmaßnahmen ein Unternehmen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu sanieren.
Was gilt nun ab dem 01. Mai 2021?
Stand jetzt müssen Geschäftsleiter ab dem 01. Mai 2021 bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung wieder rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellen, die Corona-Ausnahmeregelungen sollen gestrichen werden. Allerdings hört man aus Insiderkreisen, dass sowohl über eine kurzfristige als auch eine rückwirkende Verlängerung der Aussetzung debattiert wird. Wir halten Sie diesbezüglich auf dem Laufenden.
Klarheit im Interesse aller!
Aus unserer Sicht würde ein Ende der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht die nötige Klarheit für alle Beteiligten schaffen. Geschäftsleiter würde man nicht im Unklaren lassen, ob sie denn nun einen Antrag stellen müssten oder nicht und diese so vor Haftungsrisiken und drohender Strafverfolgung bewahren.
Zudem bestehen Chancen, bei dann doch noch rechtzeitiger Insolvenzantragsstellung Unternehmen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu sanieren und so auch Arbeitsplätze zu erhalten. Zudem würde man „gesunde Unternehmen“ davor schützen, durch die Interaktion mit sogenannten „Zombieunternehmen“ am Ende des Tages unverschuldet selbst in finanzielle Schwierigkeiten zu gelangen. Die allgemeinen Marktmechanismen müssen wieder in Kraft gesetzt werden.
Rasanter Anstieg der Insolvenzen ab Mai 2021 die Folge?
Aus Sicht der Praxis würden/werden die Unternehmensinsolvenzen aber nicht schlagartig in die Höhe schnellen. Denn staatliche Hilfsprogramme und Unterstützungsmaßnahmen und die zeitweise Senkung der Kostenstruktur durch Schließungen lassen Unternehmen in vielen Branchen noch ein wenig Luft zum Atmen, erst langsam wird das Sinken der Liquidität zur Stellung eines Insolvenzantrags führen. Spätestens wenn die Unternehmen aber wieder in den Normalbetrieb unter voller Kostenlast zurückkehren und aufgenommene Kredite zurückgezahlt werden müssen, werden die Marktmechanismen greifen und nicht überlebensfähige Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen müssen. Dabei ist zu hoffen, dass es für eine Sanierung der Unternehmen dann nicht schon zu spät ist.
Handeln angesagt!
Wir raten Geschäftsleitern dringend, bei finanziellen Schwierigkeiten proaktiv rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. In vielen Fällen lässt sich nämlich mit frühzeitigem, beherztem Gegensteuern Schlimmeres verhindern. Der Restrukturierungspraxis stehen nicht nur aufgrund der neu geschaffenen Möglichkeit einer außerinsolvenzlichen Restrukturierung (StaRUG), sondern auch im Rahmen eines gut vorbereiteten Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung die nötigen Sanierungswerkzeuge zur Verfügung, ein Unternehmen zusammen mit der bisherigen Geschäftsleitung zu sanieren.