Blindflug im Schlafwagen. Oder: Wann fährt man Auto?

Juristen quälen sich und vor allem andere gerne mit sog. Fällen ex cathedra. Es handelt sich um ebenso artifizielle wie sadistische Konstrukte, deren Existenzgrund alleine und ausschließlich darin liegt, das rechtliche Können von Student*innen zu erproben. Lustvolle Intention ist das Finden und Verschieben, aber auch das gelegentliche Überschreiten juristischer Schmerzgrenzen. Freilich verhält es sich mitunter so, dass in der Realität die größeren Herausforderungen entstehen. Beispiel hierfür ist ein Fall, über welchen unter anderem die FAZ vom 30.12.2022 unter der Überschrift „Kontrolle verschlafen“ berichtete.

Zum Sachverhalt: Ein Tesla-Fahrer – nennen wir ihn mit reduziertem Einfallsreichtum einfach T – befuhr die BAB 70 von Bamberg nach Bayreuth; und zwar mit eingeschaltetem Autopiloten. Denn T machte ein Nickerchen, d.h. er schlief im Fahrersitz und hatte die Hände nicht am Steuer. Der sich selbst überlassene Wagen rollte mit 110 km/h in konstantem Abstand zum Vordermann dahin. Der Vordermann war ein Einsatzwagen der Polizei. Friedlich schlummernd nahm T weder Anhaltesignale noch mehrfaches Hupen der Polizei wahr. Erst nach 15 Minuten erwachte er. Bei der anschließenden polizeilichen Kontrolle zeigte T drogentypische Auffälligkeiten. Auch sollen Sicherheitsfunktionen des Tesla manipuliert worden sein, indem eine Hand am Steuer vorgetäuscht wurde. Nach Medienmeldung wird gegen T nun wegen Gefährdung des Straßenverkehrs ermittelt; der Führerschein soll zudem beschlagnahmt worden sein.

Zunächst provoziert das Vorkommnis unsachliche Assoziationen: Ein Eingeborener (Bayer) auf Traumpfaden? Den Seinen gibt‘s der Herr im Schlaf? Autonomes Fahren in eigenmächtiger Erprobung? Indessen endeten Schlaf, Traum und Fahrt im „Schlafwagen“ in einem bösen Erwachen; nämlich in einem strafrechtlichem Ermittlungsverfahren nebst vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis.

Freilich ist die Frage nach einer Strafbarkeit nach Maßgabe des StGB nicht einfach zu beantworten. Denn wer schläft, sündigt nicht. Ins säkulare Strafrecht gewendet bedeutet dies, dass während der Zeit des – jedenfalls zum Teil polizeilich beobachteten – Nickerchens im präparierten „Schlafwagen“ bereits mangels tatbestandlicher Handlung, aber auch wegen Fehlens von Schuld notwendige Anknüpfungspunkte für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit schlicht nicht gegeben sind. Des Weiteren ist übergreifend zu berücksichtigen, dass die Strafvorschriften der §§ 315b, 315c StGB (Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr/Gefährdung des Straßenverkehrs) konkrete, und daher nicht bloß abstrakte Gefahren für Leib, Leben oder bedeutende Sachwerte zur Voraussetzung haben. Vorliegend ist hierzu nichts berichtet; unabhängig von dem Befund, dass die Technik des selbstfahrenden Teslas Gefahren unter Umständen grundsätzlich vermieden hätte, was sich T mit seinen drogenbedingten Auffälligkeiten überdies bewusst zu Nutze gemacht haben könnte.

Es bleibt nur eine mögliche Strafbarkeit nach § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr) mit Blick darauf, dass neben Alkohol- auch Drogenfahrten erfasst sind. Dies muss – wegen des grundsätzlich exkulpierenden Schlafes während der Zeit der Auto(nomen)fahrt – mit den strafrechtlichen Möglichkeiten einer Vorverlagerung von Verantwortung harmonisiert werden können. Mit dem Rechtsinstitut des actio libera in causa ist eine Vorverlagerung von Strafbarkeit indessen grundsätzlich zu bewerkstelligen. Zentral ist sodann aber die Frage, ob das für die Verwirklichung des nicht nur für die Strafnorm des § 316 StGB notwendigen Tatbestandsmerkmal des Führens eines Kraftfahrzeugs (= Fahren) erfüllt ist.

Nach einer etwas älteren, gleichwohl nach wie vor richtungweisenden Rechtsprechung des BGH liegt ein tatbestandliches Fahren – in Abgrenzung zu eher statischen Vorgängen – unter folgenden Voraussetzungen vor (vgl.: BGH, Urt. v. 27.10.1988 – 4 StR 239/88 = BGHSt 53, 290 ff. = BGH, NJW 1989, 723 ff.):

Der Senat hat hierzu bereits klargestellt (…), daß der Führer eines Fahrzeugs nur sein könne, wer sich selbst aller oder wenigstens eines Teils der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind. Es muss also jemand, um Führer eines Fahrzeugs sein zu können, das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzen oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenken.

Demzufolge ist in der strafrechtlichen Kommentarliteratur Folgendes zu lesen:

Für das Führen eines Fahrzeugs kommt es (…) nicht auf die Fortbewegung mit Motorkraft an. Zum Führen ist erforderlich, dass jemand das Fahrzeug in Bewegung setzt oder es unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fortbewegung lenkt (…) (vgl.: Fischer, StGB, § 315c Rn. 3a)

Oder:

Ein Fahrzeug wird v. demjenigen geführt, welcher es unter bestimmungsgemäßer Verwendung v. Antriebskräften in Mit- oder eigener Verantwortung in Bewegung setzt oder unter Nutzung dessen technischer Möglichkeiten im Verkehrsraum ganz oder teilw. lenkt. (vgl.: HK-GS/Quarch, § 315c Rn. 4)

Die Führereigenschaft kann daher unter Berücksichtigung der bisherigen technischen Gegebenheiten (alternativ) aus zweierlei Aspekten resultieren: Zum einen kann es ein Bewegungsvorgang bzw. ein Inbewegungsetzen – unter Umständen unter Verzicht auf den Motoreinsatz – sein, sofern zumindest einzelne technische Einrichtungen, die für die Fortbewegung erforderlich sind, wie bspw. das Bremsen, bedient werden. Zum anderen kann es das Lenken eines Kraftfahrzeugs sein. In beiden Alternativen geht es, allgemein formuliert, um das aktive Pilotieren, jedoch nicht das passive Gefahren- bzw. Pilotiertwerden; wobei sich unter Berücksichtigung der vom BGH entschiedenen Fallgestaltungen zudem die Frage stellen ließe, ob der für tatbestandlich deklarierte Bewegungsvorgang überhaupt ohne Lenkmanöver seitens des Strafsenats angedacht war.

Übertragen auf Formen des autonomen Fahrens – auch bei Berücksichtigung von Manipulationen am zum (teil-) autonomen Fahren konzipierten Kraftfahrzeug – zeigt sich, dass evident Grenzen der Interpretation erreicht werden. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation dürfte unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung deshalb nur unter Schwierigkeiten unter einen der Straftatbestände des sog. Verkehrsstrafrechts zu subsumieren sein. Auch der für die Auslegung von Strafvorschriften maßgebliche Wortlaut, der zugleich die verfassungsrechtliche Grenze der Auslegung bildet, ist nämlich zu beachten. In der Konsequenz ist zu konstatieren, dass die Annahme einer Strafbarkeit nach § 316 StGB zumindest problematisch erscheint. Gleiches gilt mit Blick auf das nicht eindeutig beschriebene Tatbestandsmerkmal „Fahren“ für die Vorschriften der §§ 315b, 315c StGB.

Notwendige Anpassungen könnten nur durch eine modifizierende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bzw. eine entsprechende richterliche Klarstellung oder durch den Gesetzgeber selbst erfolgen. Will heißen: Das Initiieren fahrzeugautonomen Fahrens – in welcher Form auch immer – müsste als Fahren bzw. als Führen eines Kraftfahrzeuges definiert werden; wenn nicht ein schlichtes Inbewegungsetzen eines Kraftfahrzeuges (ohne Lenkeinfluss) für ausreichend erachtet wird. Trotz einer momentan möglichen Gesetzlücke ist gleichwohl davon abzuraten, schlafend und deshalb blind mit seinem autonomen Fahrzeug traumwandelnd unterwegs zu sein. Strafbarkeitslücken können sich nämlich bekanntlich recht schnell schließen.

Prof. Dr. Guido Britz

Rechtsanwalt
Strafrecht
Strafprozessrecht

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