Kopflos (?)

Als ihn die zuständige Strafkammer zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilte, mag der Angeklagte überrascht gewesen sein. Was war geschehen? (vgl. hierzu FAZ v. 21.01.2023 „Kopf vor Gericht abgelegt“): Der Angeklagte hatte im Sommer 2022 vor einem Gerichtsgebäude in Bonn (nur) einen menschlichen Kopf abgelegt. Es war der Kopf eines an Tuberkulose verstorbenen Freundes. Diesen hatte er mit einem Messer vom Leichnam abgetrennt, in eine Umhängetasche gelegt und schließlich im Eingangsbereich des in der Nähe gelegenen Gerichts deponiert. Zeugen zufolge hatte der Angeklagte sodann auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit der nunmehr leeren Tasche Platz genommen und den Kopf angestarrt. Vor Gericht schwieg der Angeklagte zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen.

Die Staatsanwaltschaft hatte noch 2022 Anklage wegen Störung der Totenruhe in der Variante des Verübens beschimpfenden Unfugs gegen den obdachlosen Täter, der zudem Berührung mit dem Drogenmilieu aufwies, erhoben. Der auf mehrere Verhandlungstage terminierte Prozess begann im Dezember 2022. In ihren Plädoyers forderte die Staatsanwaltschaft eine deutliche Freiheitsstrafe, während die Verteidigung einen Freispruch reklamierte. Das Landgericht Bonn – vor dessen Türen der Kopf abgelegt worden war – urteilte wegen Störung der Totenruhe eine strenge Freiheitsstrafe ohne Bewährung für die unappetitliche Tat aus.

Ob das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen wurde, ist bislang nicht bekannt, dürfte vor allem wegen der konträren Positionen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung aber eher unwahrscheinlich sein.

Indessen fördert auch der vom spezifischen Fall losgelöste Blick auf die Rechtslage keine definitiven Gewissheiten zu Tage. Da die Beleidigungsdelikte nach §§ 185 ff. StGB lebende Personen als Tatobjekte voraussetzen, werden Verstorbene bzw. Tote über die die Strafvorschriften der §§ 189, 168 StGB geschützt. Ob es sich insbesondere bei Norm des § 168 StGB um einen fortwirkenden personalen Ehrenschutz handelt, ist freilich umstritten. Verwiesen wird nämlich daneben auf das Pietätsgefühl der Angehörigen und/oder der Allgemeinheit sowie auf einen nicht mit dem Tod endenden Anspruch auf individuellen Respekt, der sich auch als postmortales Persönlichkeitsrecht beschreiben ließe. Die Definition des mit strafrechtlichen Mitteln zu schützenden Rechtsguts ist angesichts dieser Melange mit erheblichen Problemen verbunden. In der Gesetzeskommentierung (vgl.: Fischer, StGB, § 168 Rn. 2) werden die Irritationen wie folgt umschrieben:

(…) gerät § 168 zusehends in eine unklare Zone zwischen Eigentums- und Vermögensschutz, Sachbeschädigung und öffentlichem (symbolischem) Anstand.

Die in der vorliegenden Konstellation zu entscheidende Frage ist, ob die inkriminierte Tathandlung des Verübens beschimpfenden Unfugs gegeben sein kann. Umschrieben wird dies wie folgt (vgl.: HK-GS/Tag, § 168 Rn. 11)

Das Verüben des beschimpfenden Unfugs ist durch einen bes. pietätlosen, höhnenden oder herabsetzenden Umgang mit dem Körper etc gekennzeichnet, der Miss- bzw. Verachtung zum Ausdruck bringt.

In diesem Zusammenhang kommt hinzu (vgl.: Fischer, StGB, § 168 Rn. 17)

Voraussetzung ist stets eine auf die missbräuchliche, tabuverletzende Verwendung der Leiche (…) gerichtete Motivation.

Wie angesichts eines sich durch Schweigen verteidigenden Angeklagten die zur Erfüllung des Tatbestandes erforderlichen despektierlichen Intentionen hatten zweifelsfrei festgestellt werden können, ist nicht problemlos nachzuvollziehen. Zwar kann das Zerteilen einer Leiche als poenalisierte Tathandlung in Betracht kommen; aber nur dann, wenn dies gerade Ausdruck von Beschimpfung oder Verächtlichmachung ist. Das mündet in die konkrete Frage: Was intendierte der Angeklagte mit dem Köpfen der Leiche und dem öffentlichen Ablegen des Kopfes in Justizsphären?

Dass der Angeklagte mit echtem Equipment richtige Halloween Atmosphäre vor dem Landgericht Bonn aufkommen ließ, ist kaum zu bestreiten. Das geschmacklose Erzeugen von Ekel mit authentischem Leichendekor dürfte aber nicht ausreichen, den Straftatbestand direkt zu bejahen. Es sei denn, man justiert beim Rechtsgut den Fokus exakt auf dem Pietätsgefühl der Allgemeinheit. Wie ist es aber nun damit bestellt?: Von Ausnahmen abgesehen – man denke an die Aufbahrung des verstorbenen deutschen Papstes Benedikt XVI. – ist in (westlichen) Industrieländern im Todesfall augenscheinlich die schnellstmögliche Beseitigung der sterblichen Überreste der Regelfall. Deutlich bevorzugt wird hierbei die einsame Einäscherung in einem professionellen Ofen, da die anschließende Beisetzung des/der nunmehr in praktischer Weise Eingedosten in einem Urnengrab oder in einer Urnenwand die ansonsten anfallende Grabpflege hinsichtlich Aufwand, Kosten und emotionaler Beteiligung deutlich minimiert. Im Vordergrund stehen im einem Todesfall mithin die thermische Entsorgung der Leichen und das Schaffen effizienter Erinnerungspunkte um einen hübschen Ascher herum. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Leiche als solcher in der Regel kaum mehr relevante Bedeutung zukommt. Angesichts moderner Bestattungsabläufe mit einem deutlich reduzierten Ritus kann die Strafbarkeit der Störung der Totenruhe deshalb nicht mehr zentral am Umgang mit Leichen oder Leichenteilen festgemacht werden. Der Straftatbestand des § 168 StGB bedarf unter diesem Gesichtspunkt dringend einer Renovierung; oder aber einer entkriminalisierenden Einäscherung. Aus „Kopflos“ könnte dann „straflos“ werden.

Kopflos

Prof. Dr. Guido Britz

Rechtsanwalt
Strafrecht
Strafprozessrecht

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