„Losung“ vor Gericht?

Unter der unzweifelhaft mehrdeutigen Überschrift „Höckes Losung“ kommentiert die FAZ (FAZ v. 14. September 2023, S. 8) eine aktuelle Meldung des Landgerichts Halle, die mediale Aufmerksamkeit gefunden hat. Das Gericht hatte nämlich mitgeteilt, eine Anklage der Staatsanwaltschaft Halle gegen Björn Höcke – immerhin Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD Thüringen – wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zugelassen zu haben.

Die Mehrdeutigkeit der zitierten Headline resultiert aus einem alles andere als zufälligen Ausflug in die Waidmannsprache; ein Sprache, die nicht mit dem bekannteren Jägerlatein zu verwechseln ist. Der Begriff „Losung“ beschreibt – politisch wie auch sonst neutral – zunächst lediglich hinterlassene Exkremente. Vor dem Hintergrund der Einordnungen der AfD durch den Verfassungsschutz unter Berücksichtigung der natürlichen Farbgebung menschlicher wie tierischer „Hinterlassenschaften“ vermag die journalistische Wortwahl freilich in ungeahnte Tiefen wie Untiefen zu (ver-) führen.

Den trüben Tauchgang zu wagen, soll indessen unterbleiben. Denn wiederum glasklar ist, dass sich Hr. Höcke nunmehr vor dem Richter zu verantworten hat. Worum geht’s?: Während einer Wahlkampfveranstaltung der AfD in Merseburg im Mai 2021 soll Hr. Höcke seine Rede mit der Sentenz „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“ beendet haben. Mithin geht es zentral um die schwierige Strafnorm des § 86a StGB. Diese stellt das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und nunmehr auch terroristischer Kennzeichen unter Strafe. Möglich sind eine Geldstrafe, aber auch eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

Die Norm des § 86a StGB zählt zu einem Kreis von Strafvorschriften, die einer Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats und des öffentlichen Friedens entgegenwirken sollen. Die Vorschriften sind im 1. Abschnitt des StGB positioniert, in welchem um Friedens- und Hochverrat sowie eben auch um die Gefährdung des demokratischen Rechtsstaat geht. Daher sind Rechtsgüter von eminenter Bedeutung angesprochen und mit den Instrumentarien des Strafrecht staatlichem Schutz überantwortet.

Der spezifisch verfahrensrechtliche Blick auf die „Causa Höcke“ müsste beim unmittelbar Betroffenen alarmartige Beunruhigung auslösen. Die Zulassung der Anklage zum Hauptverfahren, in dessen Zentrum eine (medien-) öffentliche Hauptverhandlung steht, beinhaltet nämlich alles andere als eine günstige Prognose. Nach der Vorschrift des § 203 StGB ist ein hinreichenden Tatverdachts erforderlich, um eine Anklage der Staatsanwaltschaft zuzulassen. Damit ist die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung gemeint; eine wertende Entscheidung, für die wiederum ein unabhängiges Gericht zuständig ist. Anders, aber deutlicher formuliert: Mit der gerichtlichen Zulassung der Anklage wird das durch die Verteidigung des Angeklagten zu bohrende Brett erst richtig dick.

Das defensorische Bohren setzt eine intensive Auseinandersetzung mit den Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 86a StGB voraus. Allerdings erscheinen die Verteidigungsaussichten auf subjektiver Ebene – gemeint ist der notwendige Vorsatz – noch düsterer als die mit der Zulassung der Anklage verbundene Prognose des Gerichts. Denn Hr. Höcke als Geschichtslehrer (Gymnasium) und somit studiert wird nicht erfolgreich reklamieren können, die historischen Bezüge und Hintergründe der gewählten Worte nicht gekannt oder unzutreffend bewertet zu haben.

Entscheidend ist damit, ob der objektive Tatbestand der nicht unumstrittenen Strafnorm verwirklicht wurde. Übergreifend ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass es sich bei der Vorschrift um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. Übersetzt: Bestraft wird nicht die Brandstiftung, sondern bereits das Zündeln und deshalb das Spiel mit dem Feuer. Denn § 86a StGB enthält ein kommunikatives Tabu. Bestraft wird – unter anderem – die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Nach § 86a Abs. 2 StGB zählen zu den Kennzeichen namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformeln; aber auch solche Kennzeichen, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. Die durchaus reichhaltige Rechtsprechung hatte sich bislang beispielsweise mit dem „Deutschen Gruß“, dem „Hitler Gruß“ sowie dem „Kühnen Gruß“ zu befassen, aber auch mit Parolen wie „Deutschland erwache“ oder „Sieg und Heil für Deutschland“. Bei dem Tatbestandsmerkmal des Kennzeichens ist ausreichend, dass das tabuisierte Symbol bei einem unbefangenen Dritten den Eindruck eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation hervorruft, wohingegen ein gewisser Bekanntheitsgrad nicht erforderlich ist. Ein Verwenden im Sinne des Tatbestandes liegt sodann vor, wenn das Kennzeichen – vorliegend die Parole – optisch oder akustisch wahrnehmbar öffentlich oder in einer Versammlung gebraucht wird.

Die Parole „Alles für Deutschland“ wird als Kennzeichen der SA als einer wiederum verfassungswidrigen Organisation bewertet. Bereits eine kurze Internetrecherche liefert deutliche Hinweise zur strafrechtlichen Relevanz. Beispielsweise publiziert die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus auf ihrer Homepage diverse Grußarten und Parolen mit Erläuterung und insbesondere strafrechtlicher Bewertung.

Dass eine Strafbarkeit von Hr. Höcke wegen seiner Wahlkampfrede vor diesem Hintergrund gewissermaßen als sicher gelten kann, ist freilich keinesfalls als ausgemacht. Bei der Interpretation des Tatbestandes sind nämlich – wie beispielsweise beim Straftatbestand der Beleidigung – limitierend Grundrechte zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass der gesamte Kontext zu beleuchten ist. Ferner ist zu beachten, dass Hr. Höcke die Parole „Alles für Deutschland“ nicht unmittelbar und damit nicht in Reinform öffentlich äußerte. Vielmehr ist der Schluss der ca. 22 minütigen Rede inhaltlich umfangreicher; und zwar im Sinne von Trumps Wahlkampfslogan des „Make America great again“ (MAGA).

Durch die Zulassung der Anklage hat das Landgericht Halle „Höckes Losung“ in den Gerichtssaal des Amtsgerichts Merseburg transportiert. Zur öffentlichen Entscheidung ist sie dort sichtbar auf dem Richtertisch platziert. Mit juristischem Spür- und Geruchssinn wird in einer Verhandlung der spannenden Frage nachzugehen sein, ob es sich bei der Äußerung unter strafrechtlichen Gesichtspunkten um „Losung“ und damit – aus der Perspektive des demokratischen Rechtsstaats grob ausgedrückt – um ein Sujet im waidmännischen Sinne handelte. Eventuell muss in mehreren Instanzen detektiert werden.

Höcke

Prof. Dr. Guido Britz

Rechtsanwalt
Strafrecht
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