Muss man auf eine Vorladung zur Vernehmung als Beschuldigter reagieren?

Laut Statistischem Bundesamt verzeichnet allein das Jahr 2021 etwas über 4,9 Millionen Neuzugänge an staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren. Damit ist lange nicht gesagt, gegen wie viele Personen in toto jedes Jahr ermittelt wird; Nichtsdestotrotz steht fest: Nicht wenige Menschen sehen sich zeit ihres Lebens mit der Frage konfrontiert, wie man sich verhalten sollte, wenn die Ermittlungsbehörden eröffnen, dass strafrechtliche Ermittlungen gegen einen selbst durchgeführt werden, z.B. indem man Adressat einer Vorladung als Beschuldigter wird. Nicht selten wird in solchen Schreiben der Anschein erweckt, man müsse zu dem Vorladungstermin erscheinen. Besteht eine solche Pflicht wirklich? Macht es nicht Sinn zum „Beweis“ der eigenen Unschuld einer solchen „Einladung“ nachzukommen und sich zu den Vorwürfen zu äußern? Stimmt der inzwischen fast popkulturelle Satz, ein Schweigen dürfe nicht gegen Sie verwendet werden, wirklich?

Die Kurzfassung vorab: Ein Erscheinungszwang zu einer Beschuldigtenvernehmung besteht nur in Ausnahmefällen. Es sollte dringend vermieden werden, Angaben zur Sache gegenüber den Vernehmungspersonen zu machen, ohne sich zuvor professionelle Beratung einzuholen.

Betrachtet man die Frage genauer, so ist zunächst festzuhalten, dass mit dem Beschuldigtenstatus wichtige rechtsstaatliche und damit grundrechtlich verbriefte Rechte einhergehen. Im Zentrum jener Rechte steht die sogenannte Selbstbelastungsfreiheit (latein: nemo tenetur se ipsum accusare), das heißt: Niemand darf gezwungen werden, sich selbst anzuklagen respektive zu belasten. Auf dieses Recht muss die Ermittlungsbehörde den Beschuldigten vor seiner Befragung hinweisen (§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StPO). Fehlt der Hinweis, darf die Aussage im weiteren strafrechtlichen Verfahren nicht verwertet werden. Im Umkehrschluss folgt daraus in der Tat, dass das Schweigen des Beschuldigten diesem nicht negativ ausgelegt werden darf.

Betreffend die Frage des Erscheinungszwanges lässt sich hieraus auch ableiten, dass grundsätzlich auf eine Vorladung nicht reagiert werden muss. Das gilt uneingeschränkt, wenn die Vorladung von Polizeibeamten als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft ausgeht (vgl. §§ 163 Abs. 3, 163a Abs. 4 StPO). Rührt das Vernehmungsbegehren dagegen von der Staatsanwaltschaft selbst, besteht zumindest eine Pflicht zum Termin zu erscheinen und Angaben zur Person zu machen (§ 163a Abs. 3 StPO). Diese Pflicht kann im Zweifel mit Ordnungsmitteln durchgesetzt werden (§ 163a Abs. 3 Satz 2 iVm § 133 Abs. 2). Nicht zu verwechseln ist die bloße Erscheinenspflicht allerdings mit einer Verpflichtung, in der Vernehmung auszusagen. Denn hier greift für den Beschuldigten in jedem Fall das Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit, sodass sowohl bei Befragungen durch die Polizei als auch durch die Staatsanwaltschaft keine Angaben zur Sache gemacht werden müssen und sollten.

Nichtsdestotrotz kann es in vielen Fällen sinnvoll sein, sich zu den Vorwürfen zu äußern, also mit einer sogenannte Einlassung Stellung zu beziehen. Ein solches Vorgehen birgt allerdings dann ein unabsehbares Risiko, wenn man die bisherigen Ermittlungen nicht eingesehen hat und daher nicht abschätzen kann, welche Bedeutung der eigenen Aussage beigemessen wird. Selbst bei Unschuld können kleinste Widersprüchlichkeiten oder Übertreibungen später negativ auf den Beschuldigten zurückfallen. Zudem besteht die Gefahr, dass das vom Vernehmungsbeamten angefertigte Vernehmungsprotokoll nur verzerrt die eigene Aussage enthält und/oder ungünstige (Vor-)Färbungen durch den Vernehmungsbeamten widerspiegelt, die zu einem späteren Zeitpunkt nur schwer aus der Welt zu schaffen sind. Auch eine unbewusste oder gar bewusste Manipulation im Zuge der Vernehmung zum Beispiel durch Suggestivfragen ist denkbar. Die sogenannte prozessuale Waffengleichheit ist gerade in Vernehmungen, als für den Beschuldigte besonders exponierter Situationen, vielfach rechtsdogmatische Fiktion.

Aus diesen Gründen ist es äußerst ratsam, zur Klärung der Fragen des „Ob“ und „Wie“ einer Einlassung zunächst einen Anwalt zu kontaktieren. Dieser kann zumeist Akteneinsicht beantragen (§ 147 Abs. 1 StPO) und dann das weitere Vorgehen besprechen. Ist es danach sinnvoll sich zu den Vorwürfen zu äußern, besteht so die Möglichkeit auf einer weitaus besseren Informationsgrundlage eine schriftliche Einlassung „aus eigener Feder“ abzugeben und so den eigenen Standpunkt annähernd auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Übrigens: Auch wenn ein potentielles Verfahren auf anderem Wege an wie auch immer Beteiligte herangetragen wird, zum Beispiel im Rahmen einer Hausdurchsuchung, einer Verkehrskontrolle oder gar Festnahme, sollte dringend und umfassend von dem Recht auf Selbstbelastungsfreiheit Gebrauch gemacht werden. Spontane Äußerungen zur eigenen Beteiligung oder Äußerungen außerhalb amtlicher Vernehmungssituationen sind für ein späteres Verfahren äußerst ungünstig, denn sie dürfen von den Ermittlungsbehörden in aller Regel gegen die betroffenen Personen verwertet werden.

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