Tretboot und Seenot: dumme Späße, tödlicher Ernst und Strafrecht

Der beschauliche Reintaler See im Tiroler Bezirk Kufstein war am sonntäglichen 13.08.2023 der sommerliche Ort eines nur schwer nachvollziehbaren, ansonsten durchaus düsteren „Bade-Spaßes“. Ein pfälzischer Rentner in Urlaub (67 Jahre alt) nahm am späteren Nachmittag ein kühlendes Bad. Beim Schwimmen näherte sich ein Tretboot mit zwei Männern: Österreicher im Alter von 37 und 21 Jahren, mithin keine Personen mehr, denen man sofort jugendliche Unreife würde attestieren können. Einer der Männer feuerte schließlich den Tretbootkapitän an, den Schwimmer zu überfahren. Es wurde sodann Kurs auf den Rentner genommen. Drei- bis viermal wurde versucht, ihn zu „überfahren“: Anlass bislang unbekannt. Der Rentner konnte sich kaum über Wasser halten, schluckte mehrmals Wasser und zog sich leichte Verletzungen zu, als er sich zu wehren beabsichtigte. Erst auf die Drohung mit einer Anzeige wurde aufgehört. Dem entkräfteten Rentner gelang es, sich ans Ufer zu retten. Dort entschuldigten sich zwar die Tretbootrabauken, konnten damit jedoch eine Anzeige nicht mehr verhindern.

Ein mehr als dummer „Spaß“ mit tödlichem Ernst für das Opfer wird also strafrechtliche Konsequenzen haben. Nimmt man die Perspektive des Opfers ein, bedarf es nicht vieler Fantasie, sich die heraufkriechende Todesangst vorzustellen. Dass das mehrfache Überrollen eines Schwimmers mit einem Tretboot grundsätzlich das Potential hat, diesen zu töten, kann im Übrigen kaum ernsthaft bezweifelt werden. Ob aus diesen beiden Komponenten vorliegend ein versuchtes Tötungsdelikt – Versuch, weil das Opfer sich zu retten vermochte – resultiert, ist indessen fraglich.

Bei der Strafbarkeit wegen eines versuchten Tötungsdelikts kommt es maßgeblich darauf an, ob ein entsprechender (Tötungs-) Vorsatz nachgewiesen werden kann. Dieser liegt nach einer geläufigen Kurzformel vor, wenn der Täter mit Wissen und Wollen bzgl. der Tötung handelte. Unterstellt man zugunsten der alkoholisierten, aber deshalb nicht schuldunfähigen Rabauken, dass lediglich ein rüder „Spaß“ im Vordergrund stand und deshalb nicht das zielgerichtete Umbringen des Schwimmers intendiert war, käme nur bedingter Vorsatz in Betracht. Damit gelangt der Strafjurist zu der alten Abgrenzungsfrage zwischen bedingtem Vorsatz einerseits und bewusster Fahrlässigkeit andererseits; ein dogmatisches Problem, welches sich auch bei den bekannten sog. Raserfällen stellen kann.

Nach welchen Kriterien wird abgegrenzt? Bei Frank kann beispielsweise die „Gewissheitsprobe“ nachgelesen werden: „Die Voraussicht des Erfolges als eines möglichen erfüllt den Begriff des Vorsatzes nur dann, wenn die Voraussicht desselben als eines gewissen des Handelnden nicht abgehalten, nicht die Bedeutung eines ausschlaggebenden konstrastierenden Motivs gehabt hätte.“ In der Lehrbuchliteratur wird die Abgrenzungsfrage unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rspr. und zudem mit Blick auf die Besonderheiten des Tötungsvorsatzes folgendermaßen verdichtend dargestellt:

Eventualvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und billigt. (…). Da vor dem Tötungsvorsatz eine viel höhere Hemmschwelle steht als vor dem Gefährdungs- oder Körperverletzungsvorsatz kann es auch so liegen, dass der Täter den Tötungserfolg als möglich vorausgesehen und dennoch ernsthaft darauf vertraut hat, er werde nicht eintreten. Dann handelt er in Bezug auf den Tötungserfolg nur bewusst fahrlässig.

Wird ein Eventualvorsatz bejaht, was zugegebenermaßen schwierig sein dürfte, führt auch dies nicht unmittelbar zur Strafbarkeit wegen eines versuchten Tötungsdelikte. Denn es bleibt die Frage zu erörtern, ob die Täter – unterstellt, es wären beide (Mit-) Täter, da ansonsten noch zwischen Täter und Anstifter zu differenzieren wäre –, nicht wirksam vom Tötungsversuch zurückgetreten sind. Dies würde wiederum nach § 24 StGB voraussetzen, dass nach dem Ankündigen einer Strafanzeige durch das Opfer und dem Ablassen der Rabauken von ihrem Vorhaben kein fehlgeschlagener Versuch bzw. die Bedingungen eines wirksamen Rücktritts bei beendetem oder unbeendetem Versuch – auch das wäre zu klären – vorliegen.

Insgesamt geht es also um komplexe Fragen der Abgrenzung letztlich von Strafbarkeit gegen Straflosigkeit. Unterstellt aber, eine Versuchsstrafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts wäre gegeben, müsste in einem weiteren Schritt diskutiert werden, ob nicht auch Mordmerkmale wie Heimtücke oder niedrige Beweggründe („Töten aus Spaß“) in Betracht kommen; was in Deutschland grundsätzlich eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich zieht.

Die Verneinung einer Versuchsstrafbarkeit hinsichtlich eines Tötungsdelikts führt gleichwohl nicht zur Straflosigkeit im Übrigen. Denn es bleiben die Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB), die Nötigung (§ 240 StGB) und die Bedrohung (§ 241 StGB). Der Schwimmer ist nämlich nicht unerheblich verletzt worden, wurde aber auch zumindest zeitweise in (Todes-) Angst versetzt. Hinzu kommen – parallel zu den bekannteren Straßenverkehrsdelikten – die „Wasserverkehrsdelikte“ nach §§ 315a, 316 StGB, da hierüber bei Vorliegen einer alkoholbedingten Enthemmung die vorsätzliche wie fahrlässige und sodann eine konkrete wie abstrakte Gefährdung erfasst werden können.

Eine Strafbarkeit nach deutschem Strafrecht setzt nicht zuletzt voraus, dass die beiden Österreicher aus Anlass ihres Fehlverhaltens an einem Tiroler See nach dem bundesdeutschen StGB belangt werden können. Dies ist wiederum eine Frage des sog. Internationalen Strafrechts nach §§ 3 ff. StGB. Einschlägig ist vorliegend die Vorschrift des § 7 Abs. 1 StGB (sog. passives Personalitätsprinzip), wonach das deutsche Strafrecht bei Attacken auf Deutsche im Ausland grundsätzlich gilt.

Aus einem dummen „Spaß“ auf einem Badesee wurde tödlicher Ernst, sodass Strafrecht intervenieren muss.

Tretboot

Prof. Dr. Guido Britz

Rechtsanwalt
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