Das zerrissene Testament

08.09.2023, Hans-Robert Ilting

Ein Testament kann vom Erblasser jederzeit widerrufen werden. Das kann durch ein neues Testament erfolgen, aber auch durch Vernichtung oder ähnliche eindeutige „Entwertung“ gemäß § 2255 BGB. Was sich einfach anhört, ist juristisch (wie so oft) natürlich komplizierter:

Denn Voraussetzung für einen wirksamen Widerruf ist außerdem, dass der Erblasser die Vernichtung oder sonstige „Entwertung“ gerade auch in der Absicht vornimmt, dieses Testament zu widerrufen. Wird die Testamentsurkunde etwa unabsichtlich vernichtet, wie durch einen Brand, gilt sie demnach keineswegs als entwertet.

Über einen auf den ersten Blick eindeutigen Fall hatte das Amtsgericht Bamberg zu entscheiden (Beschluss vom 08.07.2022): Hier wurde im Nachtschränkchen des Erblassers ein zerrissenes Testament in einer Klarsichthülle zwischen anderen wichtigen Unterlagen aufgefunden. Gestritten wurde nun um die Erbfolge.

Das Gericht hat alle Begleitumstände sorgsam aufgeklärt, so zum Beispiel festgestellt, dass der Erblasser nach einem Schlaganfall 15 Jahre außer Haus betreut wurde, allerdings gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass eine fremde Person irgendwelche Veränderungen vorgenommen hätte.

Warum der Erblasser das Testament nicht komplett vernichtet hatte, blieb nach seinem Tod naturgemäß unaufklärbar. Gleichwohl wurde festgestellt, dass der Erblasser das Zerreißen in der erforderlichen Absicht des Widerrufs vorgenommen hatte.

Die Lehre aus dem Streit: Auch beim Testamentswiderruf eindeutig handeln!

Hans-Robert Ilting

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Erbrecht
Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)

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