Die Massenentlassungsanzeige als große Herausforderung - das BAG sorgt teilweise für Rechtssicherheit

Die ursprünglich als arbeitsmarktpolitisches Instrument eingeführte Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG hat zuletzt für große Verunsicherung in der Rechtsberatung geführt. Hintergrund ist die bisherige unterschiedliche Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte hinsichtlich der Frage, ob fehlende „Soll-Angaben“ zur Fehlerhaftigkeit der Massenentlassungsanzeige und folglich zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.

Das Gesetz kennt in § 17 Abs. 3 KSchG sog. „Muss-Angaben“ und „Soll-Angaben“. Nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG muss die Anzeige Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes enthalten, ferner die Gründe, die für die geplante Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer. Gem. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG sollen in der Anzeige im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden.

Das Hessische Landesarbeitsgericht (Urt. v. 25.06.2021, Az. 14 SA 1225/20) entschied, dass wenn bei einer anzeigepflichtigen Entlassung die Anzeige gegenüber der Agentur für Arbeit nicht die in § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG genannten Angaben (sog. „Soll-Angaben“) enthält, dies zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 17 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 134 BGB führt. Dies ergebe nach Ansicht des LAG Hessen die richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift, wonach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 der Massenentlassungs-Richtlinie (MERL) die Mitteilung aller zweckdienlichen Angaben verlangt. Hierzu gehören auch die die in § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG genannten (Soll-)Angaben.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 15.12.2021, Az. 12 Sa 349/21) entschied dagegen, dass fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Nach Ansicht des LAG Düsseldorf genüge die Differenzierung von Muss- und Sollangaben den unionsrechtlichen Vorgaben. Eine richtlinienkonforme Auslegung der Soll-Vorschrift in eine Muss-Vorschrift sei nicht geboten. Folglich hält das LAG Düsseldorf eine Kündigung wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige nicht für unwirksam.

Das Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 19.05.2022, Az. 2 AZR 467/21) hat nunmehr das Urteil des LAG Hessen aufgehoben. Das Fehlen der sog. Soll-Angaben nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führt nicht zur Unwirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige des Arbeitsgebers gegenüber der Agentur für Arbeit. Die streitbefangene Kündigung ist demnach nicht deshalb nichtig, weil der Arbeitgeber nicht zuvor gegenüber der Agentur für Arbeit die Angaben nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG gemacht hat. Über diese gesetzgeberische Entscheidung dürfen sich die nationalen Gerichte nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung hinwegsetzen.

Fazit

Die Entscheidung des BAG ist vor dem Hintergrund der bisherigen entgegenstehenden landesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung für die Rechtssicherheit von großer Bedeutung. Ein Muss der „Soll-Angaben“ für eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige hätte die Arbeitgeber vor große Herausforderungen und Unsicherheiten gestellt. Etwaige Fehler bei der Staatsangehörigkeit eines Arbeitnehmers, die für den Arbeitgeber nur mit großem Aufwand nachprüfbar ist, hätten mithin zur Unwirksamkeit (aller) Kündigungen führen können.

Dr. Sebastian Mohrs, LL.M.

Rechtsanwalt
Master of European Law
Zertifizierter Restrukturierungs- und Sanierungsexperte (RWS)
auch Fachanwalt für Arbeitsrecht

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